Bremer Ingenieure entwickeln Gewächshäuser für extreme Umgebungen. Ein Test in der Antarktis seht an, doch eines Tages soll sogar auf anderen Planeten Gemüse angebaut werden.
Daniel Schubert will selbst nie ins All. Der 38-jährige Ingenieur arbeitet zwar am Deutschen Luft- und Raumfahrtzentrum (DLR) in Bremen, aber er erforscht lieber auf der Erde, wie man die Probleme lösen könnte, die das Leben ohne schützende Erdatmosphäre und Magnetfeld so mit sich bringt: Schubert entwickelt Gewächshäuser, die ressourcenschonend und effizient die Menschen im All ernähren soll. Auf der ISS, auf dem Mond oder auf dem Mars. Die ersten Härtetests für seine Gewächshauscontainer stehen bereits in zwei Jahren an. Sie kommen nicht per Rakete an ihren Einsatzort, sondern mit dem Schiff. Sie stehen nicht auf dem Mars, sondern in der Antarktis.
Die Parallelen zwischen diesen beiden Orten sind viel größer, als man zunächst vermuten würde: eine extreme und lebensfeindliche Umgebung,und eine komplizierte Logistik. Zwar gibt es am Südpol eine Atmosphäre, in der Menschen atmen können, aber das Kohlendioxid, das Pflanzen brauchen, besitzt auch der Mars. Guter Mutterboden fehlt beiden. „Die Forschungsstationen in der Antarktis werden seltener besucht als die ISS“, erklärt Schubert. Jedes Jahr im antarktischen Sommer, also etwa Mitte Dezember, dockt das Forschungsschiff Polarstern in der Antarktis an und entlädt Diesel, Fahrzeuge, Ersatzteile sowie 50 Tonnen Nahrungsmittel. Mit dabei ist seit vielen Jahren schon Eberhard Kohlberg, der seit 1998 am Alfred-Wegener-Institut in Bremerhaven die Forschungsaktivitäten auf der deutschen Antarktisstation Neumayer III koordiniert. Er hat selbst in den Jahren 1989 und 1999 in der Antarktis überwintert.
„Die Nahrungsmittelversorgung hat in den letzten 25 Jahren einen Quantensprung gemacht“, sagt Kohlberg. „Früher haben wir hauptsächlich von Konserven gelebt, heute bekommen sie viele frische Sachen.“ Alles, was sich einfrieren lässt, ist ganzjährig verfügbar. Zwischen Anfang November und Ende Februar bringen Flugzeuge aus Südafrika sogar frisches Obst und Gemüse. Aber im langen antarktischen Winter ist das nicht möglich. Der Kontinent ist dann vollständig von der Außenwelt abgeschnitten. Weder Flugzeuge noch Schiffe dringen zu ihm vor. Dann kommen Daniel Schuberts Gewächshauscontainer zum Einsatz.
„Reguläre Gewächshäuser gibt es in der Antarktis mehrere“, so Kohlberg. „Aber wir testen hier ein ganz besonderes System, das eines Tages Menschen im All ernähren soll.“ EDEN heißt das Projekt, die Abkürzung gehört zu einem kunstvoll konstruierten englischen Namen, der die Entwicklung von „Nahrungsquellen als geschlossenes System“ beschreibt. Dies ist der wohl wichtigste Unterschied zwischen den Astrogewächshäusern und denen auf der Erde. Aus einem geschlossenen System entweicht im Idealfall nichts, kein Tröpfchen Wasser und kein Molekül Nährstoff. Dieses Ideal erreicht Schuberts Entwicklung zwar nicht. Aber: „Was bei der Ernte entnommen wird, soll nachgefüllt werden müssen“, erklärt er. In dem zu verzehrenden Gemüse stecken schließlich Wasser, Kohlenstoff und einige Nährstoffe.
Mars und Antarktis gleichen sich: Die Umwelt ist lebensfeindlich und die Logistik kompliziert
Das Labor, in dem der Ingenieur seine EDEN-Container baut, liegt im Bremer DLR-Institut abseits der Tiefgarage. Der Weg führt vorbei an Autos und Fahrrädern, bis zu einer unauffälligen Tür in der hintersten Ecke. „Die besten Ideen sind in der Garage entstanden“, scherzt Schubert über den ungewöhnlichen Standort. Auf den ersten Blick sieht das Labor aus wie eine Werkstatt. Pflanzen sind weit und breit nicht zu sehen. Fenster auch nicht, obwohl doch Vegetation etwas mit Licht zu tun haben sollte. Erst im nächsten Raum wird simuliert, was bald in der Antarktis getestet werden soll.
In fünf fensterlosen Boxen, jede mit etwa einem Quadratmeter Grundfläche und zwei Metern Höhe, wachsen auf mehreren Ebenen viele kleine Salatköpfe. Das Licht liefert eine Hochleistungs-LEDs. Es ist so intensiv, dass man nur mit Schutzbrille einen Blick auf die Pflanzen werfen darf. Die pinke Farbe vereint blaue und rote Wellenlängen, die die Pflanzen zum Gedeihen brauchen. Grün benötigen die Gewächse nicht, in der Natur reflektieren sie diesen Anteil des weißen Sonnenlichts und wirken deswegen grün. Für jede Pflanzenart können die Wissenschaftler sogar ein speziell angepasstes Lichtspektrum einstellen, das genau auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten ist. Sie bekommen zudem 20 oder gar 22 Stunden pro Tag Licht, damit sie schneller wachsen.
Schubert hebt einen der Salatköpfe aus seiner Plastikhalterung. Weder Erde noch Wasser klebt an den Wurzelballen. „Wir arbeiten nicht mit Substrat oder Hydrokultur, sondern besprühen die Wurzeln der Pflanzen lediglich mit einer Nährlösung“, erklärt er – minimaler Einsatz von Ressourcen bei maximalem Nutzen für die Pflanze.
Im Hintergrund arbeiten zwei Mitarbeiter von Schuberts Arbeitsgruppe an den Feinheiten des Luftmanagementsystems. Mit Kohlendioxid angereicherte Luft wird von unten in die Pflanzkammern eingespeist, gleichzeitig wird die alte Luft oben abgesaugt. Daraus wird das von den Pflanzen verdunstete Wasser zurückgewonnen, anschließend wieder neues Kohlendioxid beigemischt. Da Luft und Wasser immer wieder und wieder zirkulieren, muss eine Kontamination mit Krankheitserregern und Pflanzenschädlingen auf jeden Fall vermieden werden. Filter halten darum Pilze und Sporen in der umgewälzten Luft zurück.
Einer der beiden jungen Männer, die sich gerade an den Schläuchen und Pumpen zu schaffen machen, ist Paul Zabel, Doktorand in Schuberts Arbeitsgruppe. Er wird gemeinsam mit dem Gewächshauscontainer zur Neumayer-Station aufbrechen und dort überwintern. „Es war eine spontane Entscheidung“, erzählt Zabel. „Zuhause habe ich nur eine Plastikpalme, da unten werde ich für den gesamten Gewächshauscontainer verantwortlich sein.“
Mit seinen Experimenten will er herausfinden, wie viel Kohlendioxid, Wasser und Licht wirklich am besten für die Pflanzen ist. Und er soll Schwachstellen aufdecken, die in der künstlichen Laborumgebung unentdeckt bleiben. „Man kann vorher viel kalkulieren und planen, aber vor Ort merkt man erst, dass Wirklichkeit und Plan nicht immer übereinstimmen und ausgerechnet das Ersatzteil fehlt, das man nicht mitgenommen hat.“
Während im Sommer 50 bis 60 Wissenschaftler und Techniker auf der Neumayer-Station leben, ist es in den langen Wintern nur eine Notbesatzung von neun Personen. Das kommt den Raumfahrtingenieuren entgegen, denn mit ungefähr dieser Mannschaftsgröße werden auch Marsexpeditionen geplant.
Der Anbau von Grünpflanzen soll auch das Wohlbefinden der Gruppe steigern
Wenn die Vorbereitungen weiter nach Plan laufen, werden die Überwinterer 2016 zum ersten Mal ganzjährig mit frischem Gemüse versorgt werden können. Ein 20-Fuß-Container mit 18 Einzelboxen von jeweils drei oder vier Ebenen kann Berechnungen zufolge pro Tag jeweils zwei Kilogramm Salat und Tomaten liefern. Das wäre auf keinen Fall ein Ersatz für das Essen aus der Tiefkühltruhe, aber doch ein netter Nebeneffekt.
Neben einer Bereicherung des Speiseplans erhoffen sich die Forscher auch positive psychologische Effekte des Pflanzenanbaus. Die Isolation im ewigen Eis oder auf einer Marsmission ist ein nicht zu unterschätzender Stressfaktor. Die Pflege von Grünpflanzen wäre auch eine Art Beschäftigungstherapie, könnte das Wohlbefinden und den Gruppenzusammenhalt steigern.
Nicht zuletzt könnten die Ergebnisse des EDEN-Projekts auch auf der Erde wichtig werden. Denn aufgrund der stetig wachsenden Weltbevölkerung muss Landwirtschaft zukünftig intensiver und ressourcenschonender zugleich arbeiten. Gewächshäuser mit minimalem Verbrauch von Fläche, Wasser und Nährstoffen könnten auch für dichtbesiedelte Metropolregionen einen Beitrag zur Ernährung der Bevölkerung leisten.
Dieser Artikel erschien am 05. Mai in der Süddeutschen Zeitung.