Weil sie so schön blühen, brachte der Mensch einst Tamarisken in die USA. Dann wucherten die Gewächse alles zu – bis Biologen einen Käfer freisetzten. Der könnte nun der Beginn des nächsten Problems sein.
Die Flussufer im Südwesten der USA bieten einen trostlosen Anblick. Sie sind gesäumt von abgestorbenen Tamarisken, die ihre grauen dünnen Zweige leblos in den Himmel recken. Tote Bäume so weit das Auge reicht, von Tamariskenkäfern kahl gefressen. Doch die meisten Umweltschützer jubeln.
Die Käfer kamen nicht zufällig ins Land, sondern wurden vor 13 Jahren von der amerikanischen Regierung freigesetzt. Die aus China und Kasachstan stammenden Insekten der Art Diorhabda carinulata waren der letzte Trumpf im Kampf gegen die invasiven Tamarisken, die sich seit ihrer Einfuhr vor 200 Jahren so aggressiv im Südwesten der USA ausgebreitet haben wie keine andere Pflanze.
Weder Axt noch Flammenwerfer haben den Siegeszug der Bäume aufgehalten
Um das Jahr 1800 herum wurden Tamarisken aufgrund ihrer schönen Blüten und eleganten Wuchsform als Zierpflanzen aus Asien und Südeuropa eingeführt. Später pflanzten die Bewohner von Colorado und Arizona, Utah und New Mexico die Bäume sogar gezielt an den Flussufern an, als Schattenspender und um den Boden vor Erosion zu schützen. Weil sie mit extremer Trockenheit und hohem Salzgehalt im Boden sehr gut zurechtkommen, haben die Pflanzen im staubigen Südwesten der USA einen perfekten Lebensraum gefunden. Doch ihren Spitznamen Salzzeder tragen die Bäume nicht ohne Grund. Sie versalzen den Boden und machen ihn für andere Arten damit praktisch unbewohnbar. Außerdem erhöhen sie die Brandgefahr, und ihre mageren Zweige und dürren Blätter bieten Wildtieren und Vögeln kaum Nahrung.
Vollständig ausrotten lassen sich die Tamarisken inzwischen nicht mehr. Selbst wenn der Käfereinsatz erfolgreich sein sollte, werde sich der Bestand der Pflanzen um maximal 85 Prozent verringern. Nachdem in den vergangenen Jahrzehnten weder Axt noch Flammenwerfer den Siegeszug der Bäume aufhalten konnten, galt die biologische Schädlingskontrolle als letzte Hoffnung.
„Vorher wurden Millionen von Dollar für die Eindämmung der Tamarisken ausgegeben“, sagt Dan Bean vom Landwirtschaftsministerium in Colorado. Diese Programme hatten wenig Erfolg, und das großflächige Versprühen von Herbiziden birgt auch Risiken für Menschen und einheimische Pflanzenarten.“
Ehe der Käfer auf Tamarisken losgelassen wurde, hatte er sich gegen 300 Mitbewerber durchgesetzt. Er wurde ausgewählt, weil er ein mäkliger Esser ist und es speziell auf Tamarisken abgesehen hat. Zehn Jahre lang haben Wissenschaftler das im Labor untersucht. „Solch intensive Tests sind wichtig, denn man ist in der Vergangenheit mit biologischer Schädlingskontrolle viel zu unselektiv und unspezifisch umgegangen“, meint Gunnar Brehm von der Universität Jena. „Man hat teilweise Arten ins Land geholt, die mehr Probleme verursachen als sie lösen.“
Eines der bekanntesten dieser Negativbeispiele ist der Asiatische Marienkäfer. Gärtner setzten große Hoffnungen in seine Fähigkeiten, Blattläuse zu vernichten und importierten die Tiere aus Japan und China. Kurz darauf zeigte sich, dass die Neuankömmlinge nicht nur Schädlinge eliminieren, sondern auch die einheimischen Marienkäfer verdrängen. Ähnliche Erfahrungen hatten Jahrzehnte zuvor bereits die Australier gemacht, als sie sich die Aga-Kröte aus Amerika ins Land holten. Die Kröten sollten ebenfalls Schadinsekten vernichten – und dezimierten die Vielfalt der heimischen Amphibien und Schlangenarten erheblich. Seither wissen Forscher um die Unwägbarkeiten der biologischen Schädlingsbekämpfung und versuchen, diese durch umfangreiche Tests besser abzuschätzen.
Bleibt nun der Weidentyrann als Kollateralschaden auf der Strecke?
Im Fall der Tamariskenkäfer interessierte die Wissenschaftler auch, wie weit die Insekten sich nach Süden ausbreiten würden. Zunächst sah alles danach aus, als sei am 38. Breitengrad Schluss, denn der Käfer braucht zur erfolgreichen Vermehrung lange Sommertage. „Aber die Evolution ist bei der Anpassung an unterschiedliche Tageslängen bekannt dafür, ziemlich schnell zu sein“, sagt Dan Bean. In zwanzig bis dreißig Jahren, so hatten die Wissenschaftler des US-Agrarministeriums zunächst geschätzt, könnten sich der Tamariskenkäfer angepasst haben. Dann aber ging das viel schneller.
Im Jahr 2001 wurden die Käfer erstmals an zehn Standorten in den sechs Bundesstaaten Kalifornien, Utah, Colorado, Wyoming, Nevada und Texas freigesetzt. Und die Insekten erfüllten ihre Aufgabe wie geplant. Nach anfänglichen Startschwierigkeiten fraß er sich mit ungeahnter Geschwindigkeit durch die Tamariskenhaine. Den 38. Breitengrad überquerte er nach nicht einmal zehn Jahren. Hinter sich ließ er einen Gespensterwald aus Baumgerippen.
„Was jetzt kommt, hängt vom umgebenden Ökosystem ab“, erklärt Matt Moorhead von der gemeinnützigen Organisation The Nature Conservancy. Wo rund um die abgestorbenen Tamarisken noch heimische Bäume stehen und Samen auswerfen, wie entlang des Purgatoire Flusses inColorado, erhole sich die Natur von selbst. An anderen Stellen müsse gezielt gepflanzt und gesät werden, damit die tote Erde zu neuem Leben erwacht. „Die Käfer sind eine kostengünstige Variante um die Ökosysteme wieder gesünder werden zu lassen“, sagt Bean. „Ein Allheilmittel sind sie aber nicht.“
In einigen Gebieten haben die Tamarisken Schwarzpappeln und Weiden so stark zurückgedrängt, dass diese sich ohne menschliche Hilfe nicht wieder ausbreiten können. Außerdem haben die Tamarisken den Salzgehalt im Boden derart angereichert, dass es für andere Arten schwierig ist, wieder Wurzeln zu schlagen. Doch wenn die einheimischen Pflanzen nicht bald zurückkehren, füllen andere invasive Arten wie die Schmalblättrige Ölweide die Lücke – aus ökologischer Sicht wäre dann wenig gewonnen. Für eine flächendeckende Aufforstung fehlt aber das Geld. “Es gibt nie genug Fördermittel um jedem Bedarf gerecht zu werden,“ sagt Moorhead, „deswegen priorisieren die Projektmanager danach, wo die Rekultivierung den größten Erfolg verspricht.“
Auf eine rasche Aufforstung drängen auch die Vogelschützer. Sie sorgen sich um den Weidentyrann, einen kleinen, braunen, vom Aussterben bedrohten Singvogel. Er brütet in Ermangelung von Alternativen hauptsächlich in Tamarisken. Als die Käfer schneller als erwartet gen Süden vordrangen und sich auf das Brutgebiet des Weidentyranns zufraßen, ließ die US-Regierung die Freisetzungen der Käfer stoppen und unter Geldstrafe stellen. Inzwischen aber sind die meisten Forscher der Ansicht, dass bei zügiger Aufforstung der Weidentyrann nicht in Gefahr sei. Lokal werden wieder Käfer freigelassen – wenn das auch umstritten ist.
Dieser Artikel erschien am 25. Februar 2014 in der Süddeutschen Zeitung